19. Jahrhundert – Festlegung der Rollen

Neben dem Nationalhelden, dem Prediger und dem Familienvater bilden sich durch Historienmalerei und Denkmalgestaltung weitere Rollenklischees heraus, die das Lutherbild zum Teil bis heute bestimmen. Häufig sind sie mit besonderen Szenen aus dem Leben des Reformators verknüpft und führen als solche ein zähes Eigenleben im kollektiven Gedächtnis.

Der einflussreiche Historiker Heinrich von Treitschke wollte 1883 in dem Reformator die Verkörperung des deutschen Volksgeistes erkennen. Damit erteilte er Bestrebungen nationaler Kreise seinen Segen, das „Denkmal Luther“ zur Identifikationsfigur des Deutschen schlechthin zu erheben (Abb. 9.1.). Luthers vielschichtiges Werk tritt in eine neue Phase der Säkularisierung ein. Sein Wirken verengt sich in der Wahrnehmung der Zeit auf eine kulturelle Leistung, die Bibelübersetzung (Abb. 9.3.). Statt das Feuerwerk der Impulse zur Kenntnis zu nehmen, das die Reformation in Europa entfachte, deutet man sie eingleisig zur „vaterländischen Sendung“ um. Sichtbaren Ausdruck findet das Lutherbild um 1900 in der Speyerer Gedächtniskirche (Abb. 9.2.). Kritische Stimmen konnten sich in der mächtigen Woge des nationalen Hochgefühls kaum Gehör verschaffen.

Bildtexte

Abb. 9.1. Luther verbrennt die päpstliche Bannandrohungsbulle; Carl Friedrich Lessing (Breslau 1808 – Karlsruhe 1880); Tuschzeichnung (zweiter Entwurf zum Gemälde von 1853), 1851; Verbleib unbekannt (aus: Julius von Pflugk-Harttung (Hg.), Im Morgenrot der Reformation – Jubiläumsausgabe zur 400jährigen Wiederkehr der Reformation, Stuttgart 1928, S. 425); Zentralarchiv der Ev. Kirche der Pfalz Abt. 173 Nr. 3032

Abb. 9.2. Martin Luther; Hermann Hahn (Kloster-Veilsdorf 1868 – München 1945); Bronze (Vorhalle der Gedächtniskirche der Protestation zu Speyer), 1903; Gedächtniskirchengemeinde Speyer; Bildnachweis: Zentralarchiv der Ev. Kirche der Pfalz Abt. 154 Nr. 8733

Abb. 9.3. Luthers Bibelübersetzung; Gustav König (Coburg 1808 – Erlangen 1869); Stahlradierung (32. Blatt aus dem 48-teiligen Lutherzyklus), 1840/50; Kunstsammlungen der Veste Coburg, Inv. Nr. VI, 489, 32a, https://www.kunstsammlungen-coburg.de/

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